14.09. Tag fünf, Trampen nach Riva del Garda

Hier geht’s zum Anfang des Tramper-Berichtes. Ich war wieder unterwegs. Heute Morgen um acht Uhr war ich aufgestanden und die schützende Behausung verlassen, um mich in neue Abenteuer zu stürzen.

Ich wollte noch heute über den Brenner, mit etwas Glück würde ich abends am Gardasee übernachten können. Mit der S-Bahn fuhr ich nach Holzkirchen, von da aus sind es nur noch vier, vielleicht fünf Kilometer Fußweg bis zu einer Raststätte an der A8 in Richtung Rosenheim.

Inhaltsverzeichnis

Das Geld wird knapp

In Holzkirchen wollte ich Geld abheben, doch der Automat verweigerte die Ausgabe. Nach einigen Telefonaten stellte sich heraus, dass die Wohnungsmiete einen Tag zu früh abgebucht worden war.

Na ja, dachte ich, dann muss ich halt einen Tag mit dem Restgeld auskommen. Ich hatte noch ungefähr acht Euro in der Tasche. Ich machte mich auf den Weg zur Raststätte. Nach ungefähr einer dreiviertel Stunde kam ich dort an und begann mich durchzufragen.

Es ging verhältnismäßig schnell, nach eineinhalb Stunden saß ich auf der Rückbank eines VW-Bus und fuhr in reger Unterhaltung mit den beiden anderen Insassen bis zur Raststätte Kastelruth. Dort war es ungefähr fünfzehn Grad wärmer als in München und die Sonne knallte hochsommermässig vom Himmel. Sehr angenehm.

Raststätte Kastelruth

Die Raststätte war die beste die ich auf der ganzen Tour gesehen habe. Sie bestand nur aus einer Tankstelle mit eingebautem Kiosk. Vor dem Kiosk waren Bierbänke aufgestellt auf den Tischen standen Aschenbecher, keine fünf Meter von den Zapfsäulen entfernt. Ich ging rein und kaufte mir leichtsinnigerweise eine Schachtel Glimmstängel. Jetzt hatte ich nur noch fünf Euro. Dann setzte ich mich auf eine der Bänke und sonnte mich eine Zigarette lang. Nebenan standen einige Trucker, ich sprach sie an, stellte meine übliche Frage, doch zunächst war ich erfolglos.

Der, der die Häuser alt macht

Nach ungefähr zwanzig Minuten traf ich einen älteren, vollbärtigen Mann, der mich bis kurz hinter Bozen mitnahm. Er war Wahlsüdtiroler oder wie auch immer man das nennt und hatte einige “Spezialgebiete” wie er es nannte, in denen er tätig war. Man könnte ihn zum Beispiel anheuern, wenn man möchte, dass der neue Parkettboden in der eigenen, von Mangrovenwald umgebenen Villa so aussieht, als wäre er zweihundert Jahre alt. Ein lukratives Geschäft, denke ich. Außerdem war er so eine Art Immobilienmakler für Ferienhäuser wohlhabender Leute, wenn ich mich nicht irre.

Er fuhr übrigens einen alten sehr unaufgeräumten R5, dessen Aschenbecher so voll war, dass man ihn nicht mehr schließen konnte. Sympathisch. Ich erzählte ihm von meinem Reiseziel, dass ich einige Tage am Gardasee Bergwandern will. Ihm gefiel mein Plan. Und dann gab er einige seiner Erfahrungen zum Besten. “Hüte dich davor, südlich des Gardasees entlang der Landstraßen zu übernachten. Das ist ein einziger Straßenstrich, dort prügeln sich die schweren Jungs um die lockeren Mädels. Nicht ratsam, da im Straßengraben zu biwakieren.” Warnte er mich. Nun ja, da wollte ich eh nicht hin, eher in den nördlichen Teil. Dort, meinte er, solle ich versuchen, per Tramp zu einer dieser Notfall-buchten im Tunnel zwischen Riva del Garda und Limone zu gelangen. Viele von ihnen hätten Zugang zum Seeufer und ich könnte dort ungesehen übernachten, schneller Schutz vor Regenwetter inklusive. Er hatte das vor einer Ewigkeit mal ausprobiert. Wir hielten an der Raststätte, er wünschte mir viel Glück und fuhr seines Weges.

Die Kleinbürger

Gut gelaunt sah ich mich um. Direkt neben mir parkte ein Auto auf dessen Nummernschild ich ungläubig “LDK” las. Ey, die kamen aus dem Lahn-Dill-Kreis! Das ist direkt in meiner Nachbarschaft, vielleicht zwanzig Kilometer von Siegen entfernt. Unweigerlich musste ich grinsen, meine Weiterfahrt war gesichert. Nach fünf Minuten kamen die Besitzer des Autos zurück. Ein älteres Ehepaar, vielleicht so um die 60, auf den ersten Blick Kleinbürger. Auf den zweiten Blick, man möge es mir ihnen nicht übelnehmen, auch. Unter normalen Umständen hätte ich sie nicht angesprochen, weil sie nicht gerade so aussahen als würden sie häufiger Tramper mitnehmen. Angst wäre hier ein Stichwort. Ich legte mich also voll ins Zeug. Mit dem freundlichsten “Entschuldigen Sie die Störung, könnten sie sich eventuell vorstellen, mich mitzunehmen?” machte ich den Anfang. Der Mann mustert mich zögernd. “Wissen Sie, wir sind sozusagen Nachbarn, ich komme aus Siegen.” Der Mann zögerte immer noch. Er rief seine Frau, die im Kofferraum kramte und frug, ob sie einverstanden sei. Nur zur Sicherheit erwähnte ich nochmal meine Herkunft. Die Frau überlegte nicht lange und ich durfte einsteigen. Sie waren nett, die beiden. Er fuhr, sie saß neben ihm und stellte mir viele Fragen, was ich denn arbeiten würde und wo ich hinwolle.

Der Mann schob seine Sonnenbrille die Stirn hinauf. Ich erzählte, dass ich eine Ausbildung zum Krankenpfleger machen würde und dass ich schon in Freudenberg, äh in Hilchenbach in der Rehaklinik gearbeitet hätte aber ursprünglich im Jung-Stilling-Krankenhaus lernen würde. Ich fuhr mit den beiden bis nach Rovereto. Dort wollten sie allerdings nicht von der Autobahn herunterfahren, weil sie Bedenken hatten, ob sie die richtige Auffahrt wiederfinden würden. Kurzerhand stoppte der Mann auf dem kleinen keilförmigen Streifen, der Autobahn und Abfahrt kurz vor dem Abfahrtsschild trennt. Die Frau stieg mit mir zusammen aus und wir holten meinen Rucksack aus dem Kofferraum. Um uns herum rasten die Autos vorbei. Sie stieg wieder ein und ich rannte über die Ausfahrtspur. Dort musste ich über einen Zaun klettern und stand plötzlich in einer dieser typischen Weinplantagen.

Irrweg durch Pflanzenplantagen

Pfeifend ein beklommenes Gefühl unterdrückend – ich hatte mich nie zuvor so weit vom schützenden Provinznest weg gewagt – ging ich zwischen den Pflanzen einen kleinen Pfad entlang. Nun sollte man sich diese Plantagen nicht wie einen Weinberg vorstellen, den unsereins vielleicht von dem Rhein oder der Mosel kennt. Die Weinplantage in Norditalien, die ich durchquerte, liegt im flachen Tal zwischen den Bergen. Der Wein steht hier ungefähr zweieinhalb Meter hoch und hat eine ausladende Krone, “Blätterdach” passt hier so gut wie fast nirgends. Nach einigen Minuten gelangte ich an einen Fluss, “Ádige” nennt man ihn wohl. An dieser Stelle war er bestimmt über dreißig Meter breit und außer der Autobahnzubringerbrücke keine Überquerungsmöglichkeit weit und breit. Ich hatte auch keine Lust hier noch lange herum zu experimentieren.

Also stieg ich die hohe Böschung zu der Brücke hinauf und lief hinter der Leitplanke zum anderen Ufer. Durch ein weiteres Weinfeld erreichte ich das Industrie- und Gewerbegebiet Rovereto`s.

von Rovereto nach Riva Del Garda

Über staubigen Asphalt kam ich gegen halb sieben zum Ortsausgang an die Straße nach Riva del Garda. Die Sonne war schon hinter den Bergen verschwunden. Ich bastelte mir ein prima Riva-Schild – zu sehen auf dem folgenden Bild – und stellte mich damit an den Straßenrand. Keine fünf Minuten später saß ich in einem kleinen Auto. Ich fuhr bis Riva, der Fahrer, wir verständigten uns so gut es ging auf Englisch, ließ mich an einem Penny Markt raus.

Zu sehen ist ein Schild auf dem in grossen Buchstaben "RIVA" steht. Das Schild lehnt an einem großen 80l Wanderrucksack, der wiederum an einer kleinen Betonmauer angelehnt ist. im Hintergrund ist eine mehrspurige Straße mit weißen und gelben Markierungen zu sehen.
So bin ich getrampt

Ich kaufte Nudeln und Pesto und trat aus dem Geschäft. Plötzlich ging mir die Kraft aus. Es war als wäre mit allem Schlag alle Energie abhanden gekommen. Wie Benommen ging ich immer der Straße entlang in Richtung Gardasee. Vorbei an Hotels und Restaurants mit weniger als drei Euro in der Tasche. Sehnsüchtig blickte ich auf die Reich gedeckten Tische, an denen gutgelaunte Urlauber saßen und sich langsam voll laufen ließen.

Wie gerne hätte ich jetzt mit ihnen getauscht, auch wenn die meisten ziemlich adipös und hyperton wirkten. Nach ungefähr einer Stunde kam ich an das Seeufer, setzte mich auf einen Sockel der Uferpromenade und starrte völlig motivationsfrei den gewöhnlichen Touristen beim Essen zu.

Suche nach einem Schlafplatz

Es dauerte nochmals eine Stunde und drei Zigaretten bis ich den Entschluss fasste, mir jetzt irgendwo abseits einen Platz zum Kochen und Schlafen zu suchen. Erschöpft taumelte ich vom Platz weg. Gaukler begannen mit ihren Vorführungen. Die Touristen hatten höchstens einen abfälligen Blick für mich übrig.

Ich bog in eine Nebenstraße ein. Sie wurde steiler und endete vor einem wuchtigen Tor. Also probierte ich es bei der nächsten. Auch hier kam ich nicht weiter. Wachhunde fletschten ihre Zähne. Ich hatte Hunger. Das letzte Essen waren zwei Scheiben Brot zu Frühstück gewesen. Ich hatte noch drei Euro. Irgendwie gelangte ich zu der kleinen Bar, wo ich das Geld gegen einen kleinen Sandwich und zwei Gläser Wasser tauschte. Danach ging es mir etwas besser.

Ich ging eine größere Straße entlang ungefähr wieder in die Richtung, aus der ich gekommen war. Überall am Straßenrand waren Zäune und Mauern. Mir blieb gar nichts anderes übrig, als weiterzugehen. Nach einer Ewigkeit kam ich zu einer Weinplantage. Ohne auch nur eine Sekunde zu überlegen, bog ich ab, stolperte die kleine Böschung hinunter und legte mich unweit der Straße unter die Äste der Weinbäume. Leise packte ich meine Sachen aus und schlüpfte in den Schlafsack. Zum Kochen war ich zu müde. Irgendwo in den Bergen bellten Hunde, ab und zu war ein Auto zu hören.

Es war elf Uhr. Den Genuss, den ich verspürte, als ich endlich liegen, endlich schlafen konnte, werde ich so schnell nicht vergessen.

Weiterlesen im nächsten Teil des Reiseberichtes.

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